Nimmersatte Liebe

So ist die Lieb’! So ist die Lieb’!
Mit Küssen nicht zu stillen:
Wer ist der Tor und will ein Sieb
mit eitel Wasser füllen?
Und schöpfst du an die tausend Jahr
und küssest ewig, ewig gar,
du tust ihr nie zu Willen.

Die Lieb’, die Lieb’ hat allle Stund
neu wunderlich Gelüsten;
wir bissen uns die Lippen wund,
da wir uns heute küssten.
Das Mädchen hielt in  guter Ruh,
wie’s Lämmlein unterm Messer;
ihr Auge bat: „Nur immer zu!
Je weher, desto besser!“

So ist die Lieb’! und war auch so;
wie lang es Liebe gibt,
und anders war Herr Salomo,
der Weise, nicht verliebt.

 Eduard Mörike